Wort-Ton Bezug

Verhältnis: Sprache - Musik

 


Die Frage nach dem Verhältnis von Musik und Sprache kann in vielerlei Hinsicht gestellt werden. Insbesondere auf die 3. Frage und deren Umkehrung (Wirkung der Musik auf die Sprache)soll im weiteren näher eingegangen werden.

  1. Inwieweit ist Musik selbst „Sprache“, das heißt: inwieweit und nach welchen Regeln ermöglicht sie Mitteilungen, welcher Art sind diese Mitteilungen und bis zu welchem Grade sind sie für Musiker und Hörer eindeutig.
  2. Was hat es auf sich mit dem Semantischen in der Musik, mit der Möglichkeit, durch das gesungene Wort (und auch ohne dies) sprachliche Bilder oder Begriffe wiederzugeben.
  3. Wie wirkt Sprache als vorgegebene Struktur auf Musik, in welcher Weise und bis zu welchem Grade übernimmt die Musik gemeinsame Elemente aus der Sprache? Die ersten beiden Fragen haben am Rande Einfluss auf diese Frage. [1]

Schematische Darstellung der möglichen Beziehungen zwischen Sprache und Musik [2]

Strukturebenen der Sprache

Sprache

(semantische Schicht)

Sprache

(musikalische Schicht)

Musik

Wörter

Phonem

Laut/Silbe

Ton

Morphem

grammatische Einheit

Metrum (Fuß)

Metrum

Lexem

Signifikat

Klang

Motiv, musikalisches Subjekt

Syntaktische Einheit

Satzinhalt

Satzgestalt

Periode, Phrase

Metrum (Vers)

Periode, Phrase

Satzmelodie

Periode, Phrase

Vollständiges Werk oder in sich geschlossener Teil eines Werkes

Inhalt

Gestalt

Musikalische Gestalt

Inhalt

Inhalt (soweit er sich in musikalischen Strukturen ausdrückt)

Die Sprache lässt sich in drei verschiedene Strukturebenen unterteilen (Wörter, syntaktische Einheit, vollständiges Werk oder in sich geschlossener Teil eines Werkes). Diese ermöglichen in ihrer Gesamtheit das Verständnis der Sprache. Die Betrachtung der Beziehung von Sprache Musik wird erleichtert durch eine Aufteilung der Ebenen in zwei Schichten: Die semantische Schicht, welche den Inhalt, die Aussage des Textes erfasst und die musikalische Schicht, welche die Klangstruktur, Melodie und Metrum der jeweiligen Ebene darstellt. Die Musik wird in nur einer Schicht dargestellt, da der Musik nur Aussagen über den Klang möglich sind.

Auf der Ebene des Wortes kann die Sprache unter drei Gesichtspunkten betrachtet werden: Phonem, Morphem, Lexem. Die Phonemen sind die kleinsten Lauteinheiten der Sprache, also Vokale und Konsonanten. Als klangliche Elemente sind sie vergleichbar mit den Tönen in der Musik. Eine Entsprechung von Sprache und Musik auf dieser elementaren Ebene ist mit den musikalischen Mitteln des 19. Jahrhunderts jedoch noch nicht möglich. Die Einheiten mehrerer Phoneme ergibt in der Sprache Silben. Diese werden als Morpheme bezeichnet. Aus der unterschiedlichen Gewichtung der Silben in der Klangstruktur und ihrer Vokalfärbung ergeben sich Möglichkeiten der musikalischen Entsprechung: das Metrum. Die Struktur eines Satzes besteht aus Lexemen(Wörter oder lexikalische Einheiten), welche als Substantive, Verben, Adjektive und andere Wortarten den Satz bilden. Das Signifikat beschreibt die Bedeutung, die Aussage des Wortes. Entsprechende Aussagen sind in der Musik möglich durch die Bedeutung eines Klanges, der Motivtechnik und musikalischer Zeichen, wie zum Beispiel eine fallende chromatische Melodie stets Leid beschreibt (Lamento). Der Musik ist es jedoch nicht möglich eine der Sprache entsprechende Syntax zu Bilden.

Die zweite sprachliche Ebene ist die des Satzes, die syntaktische Einheit. Besteht sie  aus semantischer Sicht aus Morphemen und Wörtern, so gibt sich aus ihrer klanglichen Struktur die Satzmelodie. Dem Satz als syntaktische Einheit lässt sich im Lied die musikalische Periode zuordnen. Motive, Intervallverbindungen mit grammatischen Funktionen  wie es zum  Beispiel bei der Kadenz der Fall ist und der allgemeine Grundduktus der Melodieführung können in Beziehung zur Satzmelodie gesetzt werden.

Die dritte Strukturebene der Sprache ist das vollständige Werk als eine künstlerische Einheit. Die inhaltlich formale Aussage kann durch unterschiedliche musikalische Strukturen, welche jedoch parallel zur sprachlichen Aussage verläuft, dargestellt werden. So kann zum Beispiel die poetische Grundstimmung der Komposition eine entsprechende Tonart nahe legen.

Bei der Vertonung eines Lied-Textes sind demzufolge bei einander entsprechenden Ebenen inhaltliche Übertragungen innerhalb der Strukturebenen der Sprache auf die der Musik zu erwarten. So kann zum Beispiel aus der Strophenform des Textes (Metrum) die periodische Phrasierung abgeleitet werden. Die Musik kann auch rückwirkend die Sprache beeinflussen. Sie kann, indem die Musik in ihrer Struktur bewusst gegen die Struktur der Sprache gesetzt wird die Aussage des Gedichtes ironisch, übertrieben und entgegengesetzt der sprachlichen Aussage interpretieren.


[1] Walter Dürr: Das deutsche Soloied im 19. Jahrhundert,  S. 23

[2] Walter Dürr: Das deutsche Soloied im 19. Jahrhundert, S. 26 ff.