Das Kunstlied

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Das Kunstlied

In der Romantik wandten sich viele Komponisten unter dem Einfluss literarischer Strömungen (ab 1780) wieder der Liedform zu, der eine größere emotionale Ausdruckskraft als der reinen Instrumentalmusik zugeschrieben wurde. Dazu kam die Veränderung in der Instrumentalbegleitung vom starren Generalbass-Satz zum variablen Klaviersatz.

Der bedeutendste Vertreter des romantischen Kunstliedes war Franz Schubert, der die Gattung begründete und zur Vollendung führte. Seine über 600 Lieder repräsentieren die Haupteigenschaften der Gattung: neben einer harmonisch außerordentlich komplexen Klavierbegleitung, die ein gleichberechtigter Partner gegenüber dem Gesang ist und den Inhalt des Textes zusätzlich interpretiert, vor allem poetischer Erfindungsreichtum (von schlichtester Volkstümlichkeit bis zu ausgefeilter pychologischer Charakterisierung) und große formale Bandbreite (vom einfachen Strophenlied bis zum durchkomponierten Lied). Vorlage für die Liedbearbeitung war bei Schubert häufig die Lyrik Goethes (von ihm hat er etwa 80 Gedichte vertont, darunter Gretchen am Spinnrade, 1814, und Der Erlkönig, 1815) und Heinrich Heines. Schubert war (nach Beethovens An die ferne Geliebte) im eigentlichen Sinn auch der Begründer des „Liederzyklus" (eine Reihe von Liedern, die in thematischem Zusammenhang stehen): Die schöne Müllerin entstand 1823 und Winterreise 1827. Schwanengesang (1828) wurde erst nach Schuberts Tod in der heutigen Zusammenstellung veröffentlicht.

Weitere Entwicklung im 19. Jahrhundert

Zu den bedeutendsten Liedkomponisten nach Schubert zählen u. a. Carl Loewe, Robert Schumann und Johannes Brahms. Bis zur Jahrhundertwende und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts widmeten sich zahlreiche Komponisten der Liedform, darunter vor allem Hugo Wolf, Hans Pfitzner, Gustav Mahler und Richard Strauss (Mahler und Strauss schufen neben kleineren Formen auch bedeutende Orchesterlieder). In Frankreich bildete sich der moderne Chanson, vergleichbar zur deutschen Entwicklung, im 19. Jahrhundert im Werk von Henri Duparc, Hector Berlioz, Georges Bizet, Charles Gounod und Gabriel Fauré heraus. In der Folge schufen zahlreiche Komponisten wie die französischen Impressionisten Claude Debussy oder Maurice Ravel Konzertlieder in der ihnen eigenen Musiksprache. Andere Komponisten bezogen sich stark auf ihre Volksliedtradition. Dazu gehörten z. B. Modest Mussorgskij, Peter I. Tschaikowsky, Antonín Dvorák, Leoš Janácek, Ralph Vaughan Williams, John Ireland, Benjamin Britten, Edvard Grieg, Jean Sibelius, Charles Ives und Heitor Villa-Lobos.

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Das Kunstlied in der Romantik

Die Entstehung des romantischen Liedes des 19. Jahrhunderts wird hauptsächlich Franz Peter Schubert (1797 – 1828) mit seiner Vertonung Gretchen am Spinnrade im Jahre 1814 zugeschrieben. Unter seinen rund 660 Liedern befinden sich neben seinen 66 Goethe-Liedern neben den sehr bekannten Gretchen am Spinnrade (1814) und Der Erlkönig (1815) auch Vertonungen aus Wilhelm Meisters Lehrjahre. Form und Anlage ergeben sich bei ihm aus dem Text, die inhaltliche Aussage des Textes wird zum strukturbildenden Element. Dies erfordert die Auflösung des bisherigen abstrakten Formmodells des Strophenliedes. An dessen Stelle tritt das variierende und das durchkomponierte Strophenlied. Gilt Schubert heute als der Begründer und herausragende Komponist des Kunstliedes, darf nicht die Andeutung der Gattungseigenen Merkmale bei einigen Komponisten der Dritten Berliner Liedschule übersehen werden. Die bereits bei Reichardt und Zumsteeg angedeutete Ablösung von der musikalischen Textpräsentation hin zu einer Interpretation des Textes, einer musikalischen Darstellung des Textinhaltes führt zu einer größeren Gewichtung der Musik innerhalb des Wort-Ton Bezugs. Neben den vielfältigen Formen sind die geschlossene, gegebenenfalls variierende Melodielinie, ein rhythmisch und im Bewegungsablauf festgelegtes Begleitmodell und eine stark modulierende Harmonik kennzeichnende Merkmale des romantischen Liedes. Der damit verbundene gehobene Anspruch an Musiktheorie und Virtuosität lösen das romantische Lied aus dem Bereich der privaten Hausmusik. Als Konzert-Lied entwickelt sich eine neue musikalische Gattung: das Kunstlied. Mit seinen Werken Die schöne Müllerin (1823) und Winterreise (1827) wird der Liederzyklus als eine Zusammenstellung mehrer Lieder eines Dichters in einem Band als ein weiteres Merkmal Hugo Wolfs Kompositionen bereits vorgeformt.

Zeitgleich zu Schubert vertonten andere Komponisten weiterhin zahlreiche Lieder in der Tradition der Dritten Berliner Liederschule. Zu dieser Gruppe gehören F. Mendelssohn-Bartholdy mit 102 Sololiedern, dessen Schwester F. Hensel mit einem Werk von über 300 Liedern, H. A. Marschners 430 Lieder und ein großer Teil der Lieder C. Loewes. Waren die Lieder in ihrer Zeit durchaus beliebt, werden sie heute als biedermeierlich charakterisiert. Im Vergleich zu den Werken anderer Komponisten wie Schubert und Schumann wird diesen Komponisten kaum Beachtung geschenkt.

Eine bedeutende Weiterentwicklung der Gattung ist erkennbar in den Kompositionen Robert Alexander Schumanns (1810 – 1856). Seine bedeutungsvollsten Kompositionen schrieb er im Jahr 1840. Die entscheidende Neuerung ist die Aufwertung des Gedichttextes. Er wählte die Gedichte nicht als bloßes Textmaterial, sondern als Kunstwerke aus. Diese Aufwertung der Dichter wird ersichtlich in Schumanns üblichen Nennung der Dichter im Titel der Komposition. Im Gegensatz zu Hugo Wolf vertonte R. Schumann jedoch zeitgenössische Dichter wie Rückert, Eichendorff, Uhland und Heine. Schumann übertrug die Poetisierung der Klaviermusik auf die Vokalmusik und achtet hierbei nicht nur auf die Darstellung der Gesamtstimmung, sondern komponiert auch mit gleicher Intensität die Wiedergabe subtiler Feinheiten und Details. Die begleitende Klavierstimme wird vollends eine eigenständige, der Singstimme gleichberechtigten Begleitung. Dennoch werden beide Stimmen meist eng miteinander verzahnt, also zu einem Ganzen zusammengefügt. Neuerungen im Bereich des Liedes waren auch seine romantisch differenzierte Harmonik, welche bis zu nicht vorbereiteten Rückungen vorangeschritten war. In seiner zweiten Liedperiode von 1847 – 1852, in welche auch seine Vertonung der Lieder aus Wilhelm Meister im Jahre 1949 fällt, wird eine Weiterentwicklung, oder zumindest eine Änderung seines Kompositionsstiles erkennbar. Infolge seiner zwischenzeitlich intensiven Beschäftigung mit der Orchestermusik enthält der Klaviersatz orchestrale Elemente. Die Singstimme behandelt er eher deklamatorisch, jedoch im Gegensatz zu Hugo Wolf oft gegen die natürliche Sprachbetonung.

Den wichtigsten Liedkomponisten der Neudeutschen Schule werden Peter Cornelius, Adolf Jensen, sowie ferner F. Draeseke und A. Ritter zugeordnet. Komponieren sie alle im Anschluss an die gemeinsame Auffassung der Priorität der Deklamation, bewahren sie dennoch ihren persönlichen und unabhängigen Kompositionsstil. Besonders Adolf Jensen, einen Schüler Liszts und heute weitgehend unbekannt, bezeichnet Peter Jost als vergessenes Bindeglied zwischen Schumann und Wolf.

Die Liedkompositionen wichtigsten Vertreter der Neudeutschen Schule, Wagner und Liszt, nehmen eher eine untergeordnete Bedeutung in ihrem Gesamtschaffen ein. Konzentrierte sich Wagner hauptsächlich auf das Musikdrama, so gehören seine Wesendonck-Lieder (1857/1758) dennoch zu den wichtigsten Liedkompositionen seiner Zeit. Auch Liszts Liedschaffen von über 80 Liedern steht im Schatten seiner populären Symphonischen Dichtungen. Von entscheidendem Einfluss auf die Entwicklung des Liedes sind jedoch ihre theoretischen Schriften zum Wort-Ton Bezug. Die Neudeutsche Schule nimmt großen Einfluss auf das Verständnis des Wort-Ton Bezuges und wird dadurch später von großer Bedeutung für Hugo Wolf.

Johannes Brahms, welcher immerhin 204 Sololieder komponierte, hatte kaum Einfluss auf Hugo Wolfs Kompositionsstil. Seine volkstümliche Melodieführung, die Vermeidung der Durchkomposition des Liedes und die Wahl eher unbedeutender Gedichte stehen ebenso wie seine Orchesterwerke im Gegensatz zur Neudeutschen Schule. Das Hugo Wolf diese Auffassung  teilte wird aus seinen Kritiken im Wiener Salonblatt ersichtlich.[2]

[1] Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie: Lied

[2]MGG Sachteil Bd. 5 Ludwig Finscher: „Lied, b. 19. Jahrhundert“